Nach der Trennung von meinem Mann, nach etwas mehr als zwei Jahrzehnten, fiel mir auf, dass fast alle Menschen, denen ich davon erzählte, gleichermaßen bestürzt und mitleidig reagierten. Noch dazu wurde mir immer wieder nachdrücklich, fast penetrant, „viel Kraft“ gewünscht.
Ich konnte noch so entspannt oder gar begeistert von meiner Trennung berichten, es folgten auf die Sekunde der immer gleiche bestürzt-mitleidige Blick und Unterton. Das passte zu meiner Selbstwahrnehmung ungefähr so gut wie die Faust aufs Auge, denn ich fühlte mich selten in meinem Leben so großartig.
Wäre ich nicht total überzeugt gewesen von diesem Schritt, hätte mich das tatsächlich runterziehen und mir Kraft rauben können statt sie mir zu geben. Ich fand dies umso erstaunlicher, da die jährliche Scheidungsrate in Deutschland bei etwa 40% liegt. Ich fragte mich, wie etwas, das schon fast zum guten Ton gehört so viel Bestürzung und Mitleid auslösen konnte.
Die meisten Menschen verbinden mit einer Trennung „Scheitern“, „Abschied“, „Verlust“, „Drama“, „Betrug“ und noch weiteres Abscheuliches mehr. Ich bestreite nicht, dass sehr oft davon etwas dran ist.
Es MUSS aber nicht so sein. Und das hat jede*r selbst in der Hand. Wie in allen Lebensbereichen hängt es von der inneren Einstellung ab. Und die ist sehr flexibel.
Nun hatte ich das große Glück, dass sich mein Mann ebenso gerne von mir trennen wollte wie ich mich von ihm, was eher selten der Fall ist, wie man mir sagte. Aber auch diese Tatsache erstaunte mich nicht minder. Denn wie konnte ein Mensch eine Beziehung aufrecht erhalten wollen, wenn der Partner oder die Partnerin es nicht mehr wollte? Auch unter diesen Umständen erschien mir eine Trennung ein Akt der Befreiung. Schließlich könnte kaum etwas entwürdigender sein, als in einer Beziehung unerwiderter Liebe zu verharren bzw. Liebe erzwingen zu wollen.
Als Psychologin interessieren mich besonders gesellschaftliche Tabuthemen bzw. Themen, bei denen sich Menschen ganz gerne in die eigene Tasche lügen. Mein Interesse und meine Neugier ziehen solche Themen magnetisch an: Feminismus, Veganismus und seit meiner Trennung nun auch dieses Thema. Die Prinzipien hinter all diesen Themen und wie ich sie betrachte sind die Gleichen:
Menschen machen sich sehr häufig etwas vor und wollen sich ungern verändern. Und das auf Kosten ihres eigenen Glücks.
Wahrscheinlich ist eine glückliche Trennung eine Provokation für all diejenigen (hoffentlich weit weniger als 60%), die ständig Kompromisse machen, um in einer unerfüllten Beziehung zu bleiben. Dann DARF es Menschen, die sich trennen, einfach nicht gut gehen. Sie MÜSSEN versagt haben. Schließlich kämpft man täglich darum durchzuhalten.
Und einer FRAU darf es mit ihrer Trennung schon gar nicht gut gehen. Was für eine Anmaßung, wenn es ohne Göttergatten besser geht und sie alleine sehr gut zurechtkommt. Ist sie weit über zwanzig, wird das auch im 21. Jahrhundert noch kritisch beobachtet. Ganz anders natürlich, wenn sie vom Mann verlassen wurde. Dann bekommt sie viel Mitgefühl, denn sie erfüllt ja den weiblichen Opferstatus. Wobei… sicher hat sie alles falsch gemacht. Andernfalls wäre er bei ihr geblieben!
Bei einer Frau, die sich glücklich trennt, schwingt außerdem immer auch der stille Vorwurf mit, dies den Kindern angetan zu haben. Selbst wenn die demnächst erwachsen sind und Mama und Papa ihnen kein größeres Geschenk machen könnten, als sich ENDLICH zu trennen. Denn lügen wir uns doch nicht in die eigene Tasche. Menschen in unglücklichen Beziehungen sind nun wirklich kein Vorbild. Glücklich Getrennte schon.
Wenn Dich das Thema „Glücklich getrennt“ interessiert, findest auf meinem Blog dazu weitere Beiträge.